Debattenblogbeitrag: Zur Notwendigkeit von Frauenselbstorganisation

Frauen, ihr seid nicht allein!


Zur Notwendigkeit von Frauenselbstorganisation

Wir leben in düsteren Zeiten: Trump, Bolsonaro, AfD, Massensterben im Mittelmeer, autoritäre Polizeigesetze, alltägliche Femizide, Abschiebungen, religiöse Fundamentalist*innen, ein allgemeiner Rechtsruck, anstehende Klimakatastrophe(n)… Wir könnten diese Liste mit deprimierenden Schlagwörtern lange fortsetzen. Es ist nicht einfach diese Welt emotional zu verkraften. Angst, Trauer und Wut treiben uns immer wieder in die Verzweiflung. Doch es gibt noch Hoffnung: Feministische Streiks bringen Millionen gegen den sexistischen Normalzustand auf die Straße; bei Fridays for Future organisieren sich Hunderttausende gegen den Klimawandel; in Rojava verteidigen die kurdischen Genoss*innen eine Frauenrevolution, die uns alle inspiriert.

Es ist das kleine Glück, das uns überströmt, wenn wir die solidarische Grußbotschaft der YPJ zum Frauenkampftag oder das kraftvolle Video der argentinischen Genoss*innen zum 8.März sehen. Es ist die Kampfansage an diese globale Misere, die klare Botschaft der feministischen Solidarität, die Hoffnung auf eine ganz andere Welt. Es ist das Versprechen einer Revolution, die auch das Persönliche politisiert.

Warum organisieren wir uns dafür als Frauen?

Unsere Abwertung

Gerade in diesen Zeiten scheint es verrückt, die Idee von Frauenselbstorganisation zu vertreten. Doch wir sind der Meinung es ist unfassbar wichtig, um eine tatsächliche feministische Bewegung zu schaffen. Wir machen ständig die Erfahrung, dass Frausein und alles Weibliche negativ besetzt sind. Und das, obwohl diese Gesellschaft nicht ohne uns und die an uns delegierten Arbeiten funktioniert. Reproduktionsarbeiten werden massiv abgewertet. Sie sollen Frauen natürlicherweise leicht von der Hand gehen und mit einem Lächeln auf den Lippen erledigt werden. Wir stehen ständig unter Druck, die Notwendigkeit unserer Arbeiten herauszustellen, um wahr- und ernst genommen, entlohnt und wertgeschätzt zu werden. Wir sollen aber auch abseits der Ökonomie komplett widersprüchliche Anforderungen erfüllen: attraktiv sein, aber nicht zu aufdringlich, Lust haben, aber nicht zu lustvoll sein, Kinder großziehen, aber nicht glucken, Geld heranschaffen, aber nicht zu unabhängig sein, den Körper darbieten ohne über ihn zu verfügen. Die Abwertung alles Weiblichen und die Ambivalenzen, die damit verbunden sind, machen vor der eigenen Psyche nicht Halt. Frausein wird auch von uns selbst abgewertet und Fehlverhalten sanktioniert. Wir sind diejenigen, die ständig liefern müssen, um existieren zu dürfen.

Diese Dynamiken wirken auch in der radikalen Linken. Auch hier müssen wir ständig darum kämpfen, mit unseren Arbeiten anerkannt und wertgeschätzt zu werden, auch hier erfahren wir sexualisierte Gewalt, Slutshaming und andere Frauenfeindlichkeit. Ob es die fehlende Anerkennung unserer emotionalen Arbeit ist, oder auch „nur“, dass wir wieder einmal darum kämpfen müssen, dass das Persönliche politisch ist und bleibt. Immer wieder ist Feminismus dann gerade doch nicht so wichtig, immer wieder wird emotionale Arbeit auf eine kleine Befindlichkeitsrunde verschoben und selbst diese muss oft verteidigt werden. Dort, wo wir es geschafft haben, erträgliche Zustände zu erkämpfen, sind diese ständig in Gefahr, durch andere politische Projekte und vermeintliche Sachzwänge wieder verdrängt zu werden. Eigentlich müssten wir zu jedem Treffen, zu jeder Vollversammlung, zu jeder Aktion Tomaten mitnehmen, um den historischen Tomatenwurf zu wiederholen. Dieser ständige Kampf ist anstrengend und er ist der Grund, warum wir uns entschieden haben, ihm in Zukunft viel weniger Raum einzuräumen.

So much more than class war- Die falsche Aneignung des materialistischen Feminismus

Diese Problematiken werden leider auch nicht dadurch entschärft, dass immer mehr linksradikale Gruppen gerade einen materialistischen Feminismus (wieder)entdecken. So richtig und wichtig wir die feministische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus finden, so sehr Teile von uns beispielsweise der Sammelband „Feministisch streiten“ geprägt hat oder auch die Auseinandersetzung mit der Wertabspaltungstheorie, so wenig begeistert stellen wir aktuell fest, wie diese Theorien in der radikalen Linken aufgenommen werden. Statt intensive feministische Debatten und Kämpfe antikapitalistisch zuzuspitzen, wird ein theoretischer Fehlschluss vollzogen. Nur weil Feminismus auch Antikapitalismus heißt, reicht es noch lange nicht, ausschließlich antikapitalistische Politik zu betreiben. Nach dem Motto: „Wir haben ja schon immer gesagt Kapitalismus ist scheiße! Guck mal was für tolle Feminist*innen wir sind!“ wird wiederum der massiven privaten Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen, die Feminismus eigentlich auch bedeuten sollte. Das Denken von Haupt- und Nebenwiderspruch gewinnt ganz subtil wieder an Boden.

Der Ausspruch „Die Revolution findet zu 90 % in uns und der Bewegung und nur zu 10 % außerhalb statt.“ würden die meisten Linksradikalen hierzulande wohl als falsche Befindlichkeitspolitik abtun. Interessanterweise stammt diese Aussage aber nicht von ‚verrückten bürgerlichen Queerfeminist*innen‘, die nur über Gefühle reden wollen, sondern ist ein bekanntes Motto im kurdischen Befreiungskampf. Dort gehört die Abschaffung der Männlichkeit genauso zum ideologischen Programm wie die intensive private Auseinandersetzung. Selbst in den Kampfeinheiten gibt es tägliche Runden für (Selbst-)Kritik und emotionale Auseinandersetzung. Außerdem gibt es dort viel Frauenselbstorganisation und eigene, unabhängige Frauenstrukturen, die viele massive Verbesserungen für Frauen erkämpfen. Dieses radikale Verständnis von Frauenbefreiung ist eine Inspiration für viele von uns.

Eigene Bedürfnisse entdecken

Wir haben uns permanent um die Bedürfnisse anderer gedreht, auch um die unserer männlichen und nicht-binären Genoss*innen. Dabei haben wir kaum gelernt, eigene Interessen zu formulieren und für diese einzustehen. Wenn wir individuell einen positiven Bezug auf uns selbst pflegen, ist der hart erarbeitet und steht auf wackeligen Beinen. Uns als Frauen zu organisieren und uns politisch für unsere Bedürfnisse einzusetzen ist ein erster Schritt, um uns langfristig ein gutes Gefühl mit uns selbst zu geben und uns ein gutes Leben zu verschaffen! Dabei wollen wir auch Themen bearbeiten, die schwierig und für viele von uns schmerzhaft sind. Wir wollen lernen wieder über unsere Körper, (Un-)Lust, Essen, Menstruation, Romantik usw. politisch zu reden.

Wir wollen eigene Interessen und Utopien entwickeln und stehen mit kollektivem Handeln für uns selbst und für andere Frauen ein. Feminismus ist für uns etwas zutiefst Persönliches: im Erfahrungsaustausch erkennen wir unsere Gemeinsamkeiten und Unterschiede, abstrahieren von unseren Erfahrungen und leiten politische Forderungen und Handlungen ab. Gegen die gesellschaftlichen Zumutungen und Abwertungen halten wir eine differenzreflektierte Frauensolidarität. Wir sind alle unterschiedlich und das lassen wir uns nicht nehmen. Was wir teilen ist die Erfahrung, als Frauen in dieser Gesellschaft zu leben.

Dabei sind wir solidarisch mit den Kämpfen von feministischen nicht-binären Personen und (Trans-) Männern. Wir nehmen das Geschlecht von Menschen ernst und denken, dass sich daraus eigene Forderungen ergeben. Deshalb wollen wir nicht einfach Personen als Frauen begreifen, die keine sind. In diesem Sinne verwenden wir auch kein „*“ hinter Frauen, da wir weder Menschen einschließen wollen, die keine Frauen sind, noch bestimmte Frauen zum „*“ erklären. Auch die Verwendung des „*“ zur Kennzeichnung von Frauen als gesellschaftlich gemachter Kategorie halten wir für unsinnig bis falsch. Alles ist in seiner jetzigen Form gesellschaftlich gemacht, jedes Wort ein Konstrukt. Diese Erkenntnis ist wichtig, muss aber nicht durch ein „*“ hinter jedem Wort sichtbar gemacht werden.

Es sei an dieser Stelle einmal klar gesagt: Frauen sind Frauen – egal ob cis, trans, lesbisch, hetero, bi, women of colour, weiß usw. Auch das meinen wir, wenn wir von differenzreflektierter Frauensolidarität reden.
Wir wissen, dass eine radikale Gesellschaftsveränderung nicht im Widerspruch zu unseren politischen Bedürfnissen steht. Im Gegenteil: Wenn wir analytisch reflektiert von unseren Bedürfnissen ausgehend Politik machen, scheint ein revolutionärer Umbruch unbedingt notwendig. Für uns als Frauen gibt es keine Befreiung ohne die Abschaffung von Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus.

Frauenorganisationen schaffen!

Wir sind als Gruppe noch jung und doch haben wir in den letzten Monaten schon vieles gemacht und erreicht. Dabei haben wir alle das Gefühl, unser Leben hat sich trotz vieler Anstrengungen konkret verbessert und auch in uns viele Prozesse angestoßen. Wir haben uns getraut, uns in bundesweite Diskurse und Konflikte einzubringen, Redebeiträge zu halten, uns solidarisch aufeinander zu beziehen, uns emotional aufzufangen, Pressemitteilungen zu schreiben, auf Demonstrationen zu gehen, Kundgebungen zu organisieren u.v.m. Weil wir dies bewusst als Frauen tun, sind diese Dinge durchaus bemerkenswerte Fortschritte. Wir können es deswegen nur weiterempfehlen: Frauen organisiert euch! Ob in separaten Gruppen oder innerhalb eurer Strukturen in unabhängigen Frauenstrukturen.

An die Männer: Lernt all das, was ihr immer abgespalten habt. Erledigt Reproduktionsarbeiten, unterstützt euch und andere, setzt euch mit euch und euren Gefühlen auseinander. Schafft Strukturen, in denen sich auch trans und/oder anders queere Männer wohlfühlen. Das wäre wirklich revolutionär von euch.
An unsere nicht-binären Genoss*innen: Organisiert euch und tretet für euch ein! Wenn ihr feministisch bleibt, ist euch unsere Unterstützung sicher. Wir unterstützen euren Kampf um Anerkennung und Sichtbarkeit. Wir wollen eine feministische Revolution. Allen Verbündeten auf diesem Weg wünschen wir viel Kraft. Schreibt uns gerne an, vernetzt euch mit uns und lasst uns gemeinsam an einer feministischen Zukunft arbeiten.

In diesem Sinne: Genossinnen, ihr seid nicht alleine!