Offener Brief zum bundesweiten Vernetzungstreffen des F*-Streiks in Berlin vom 15-17.2.2019

Wir wollen im Folgenden auf autoritäre Einstellungen, Verhaltensweisen und Entscheidungsfindungen beim Berliner Vernetzungstreffen hinweisen. Dies passiert in der Hoffnung auf das Entstehen einer tatsächlich feministischen Bewegung in Deutschland. Diese Bewegung sollte unserer Ansicht nach nicht von autoritären Kräften geleitet werden, sondern versuchen so demokratisch wie möglich zu bleiben. Dafür braucht es notfalls den Ausschluss von autoritären Personen und Gruppierungen, die aus unserer Sicht im Moment die undurchsichtigen Berliner Strukturen und damit auch die noch unorganisierte bundesweite Struktur in der Außenwahrnehmung und internen Struktur bestimmen.
Welche Punkte kritisieren wir?

  1. Das Vernetzungstreffen hatte keine legitimierte Beschlussposition. Auch wenn wir die beschlossenen Forderungen gut finden, sehen wir sie in keiner Weise als durch die Bewegung legitimiert an. Das Vernetzungstreffen war kein Delegierten-Treffen der unterschiedlichen Städte, sondern ein Treffen von Einzelpersonen aus verschiedenen Städten. Im Gegensatz zum ersten bundesweiten Vernetzungstreffen in Göttingen gibt es mittlerweile eine Bewegung zum F*-Streik in Deutschland. Es wäre nötig sich damit Auseinanderzusetzen wie wir in Zukunft Entscheidungen mit möglichst großer demokratischer Legitimation treffen können. Das Gegenteil war in Berlin der Fall. Selbst wenn wir das Treffen als Delegierten-Treffen verstehen würden, gab es massive Manipulationen. Dies werden wir an den Folgenden Beispielen aufzeigen.
  2. Das Konsensprinzip wurde aufgehoben. Statt der Möglichkeit ein Veto einzulegen, wurde etwas nur dann nicht verabschiedet, wenn 10% oder mehr der Anwesenden (!) ein Veto einlegten. Das bedeutet, dass bei ca. 170 Anwesenden 17 Personen ein Veto einlegen müssten, um eine Entscheidung zu blockieren. Dabei ist zu beachten, dass die Städte mit unterschiedlich vielen Personen vertreten waren. Viele kleinere Städte waren nur mit 1-3 Personen vertreten, während aus Berlin mindestens (!) 50 Personen vor Ort waren. Insgesamt waren Personen aus 15-20 Städten anwesend. Bei gegebener Situation konnten also bis zu 10 Städte ein Veto einlegen, was dann eventuell trotzdem nicht gereicht hätte, um eine Entscheidung zu stoppen.
  3. Mehrere klare Einwände und Vetos gegen das Entscheidungsverfahren zur Abstimmung über die bundesweiten Forderungen wurden ignoriert bzw. wegmoderiert. Mit zugegeben eleganten rhetorischen Mitteln („Habt vertrauen in euch“[1], „wir haben hier doch viele Kompetenzen“, „viele Frauen werden nie an unseren Treffen teilnehmen können“) wurde der Vorwurf erhoben die Frauenbewegung nicht ernstzunehmen und ihren Fortschritt blockieren zu wollen. Diese autoritäre Rhetorik wurde sowohl von der Moderation, als auch von der Mehrzahl der Anwesenden hingenommen und sogar begrüßt. Die kritischen Stimmen wurden während dem gesamten Verlauf ignoriert.
  4. Es wurde mit autoritären Methoden argumentiert. Die eigene Erfahrung wurde in Diskussionen benutzt um in eine unangreifbare Sprecherinnenposition zu kommen. („Ich als Jüdin, werde mir von euch nicht-Jüdinnen nicht den Antisemitismus erklären lassen.“) So wurden inhaltliche Diskussionen einseitig betrieben. Wer anderer Meinung war bzw. sogar nur eine andere inhaltliche Auseinandersetzung forderte, dem wurde entweder abgesprochen überhaupt etwas zu dem Thema äußern zu dürfen oder anhand anderer Diskriminierungsformen der Vorwurf der Täterschaft gemacht („Ihr seid alle Rassistinnen“).
  5. Dabei wurde fast schon wahllos beleidigt und beschimpft („Fuck off“ „Für euch ist hier kein Platz“ „Alle Kolonialrassisten“). Die Moderation griff hier nicht ein, sondern lies mehrere sehr lange Redebeiträge dieser Art zu. So endete der Abend mit den Worten „ihr seid alle Rassistinnen“ und Applaus aus der Menge. Das ist keine solidarische Diskussion unter Frauen! Genaugenommen ist es überhaupt keine Diskussion. Die „Gegenseite“ hat kein einziges inhaltliches Argument gesagt und wurde rein aufgrund der Thematisierung von Antizionismus und Antisemitismus angegriffen. So wichtig es ist sich über verschiedene Unterdrückungserfahrungen auszutauschen, so falsch und gefährlich ist es zu behaupten, dass Menschen mit bestimmten (Zwangs-) Identitäten nicht trotz linkem Selbstverständnis, menschenverachtende (z.B. rassistische oder antisemitische) Ideen vertreten könnten.
  6. Viele klare Positionierungen in Konflikten wurden unter angeblich neutralen Formulierungen, Beschlüssen, Planungen etc. verborgen. Obwohl es nicht thematisiert wurde, fanden so zahlreiche Positionierungen statt, besonders in der Thematik des Israel-Palästina Konflikts, aber auch beispielsweise in der (kurz wiederentfachten) Namensdiskussion. Von Anfang an war bei der Konferenz eine Gruppe Männer mit Pali-Tüchern (einer klar pro-palästinensischen Positionierung[2]) anwesend und kümmerte sich mit diesem klarem Statement beispielsweise um die Schlafplatzbetreuung, ein unfassbar patriarchaler Weg um die eigene Meinung präsent zu machen. So wurden viele Frauen, die ein Problem mit der einseitig pro-palästinensischen Positionierung hatten, direkt von männlicher Präsenz der Gegenseite eingeschüchtert. Außerdem gab es ein „internationalistisches Panel“ neben dem zeitgleich keine weiteren Veranstaltungen stattfinden durften. Während die Benennung als bspw. Internationales Panel, nur benannt hätte, dass Frauen aus unterschiedlichen Ländern sprechen, wurde mit der Benennung als „Internationalistisch“ direkt Stellung in einem seit Jahren andauernden Konflikt innerhalb der Linken bezogen. [3] Auch hier ergibt sich aus der Wichtigkeit der Thematik internationaler Perspektiven, nicht logisch die Unmöglichkeit einer zeitgleich stattfindenden anderen Veranstaltung.
  7. Ähnlich problematisch war der Umgang mit Social Media Accounts. So wird die Facebookseite „Feministischer Streik“, der Twitteraccount „Frauen*streik Komitee Berlin“ (@FemStreik) und der Instagram Account „feministischer_Streik_Berlin“ immer wieder als offizieller Account der bundesweiten F*-Streik-Bewegung ausgegeben. Bei Twitter stand sogar lange in der Beschreibung „official account of the women strike germany““ und der Account hieß bis vor wenigen Tagen noch „Frauen*streik Komitee“. Diese wichtigen Änderungen erfolgten lediglich aufgrund von kritischer Äußerungen verschiedenster Städte. Trotzdem bleiben weiterhin die Umbenennung der Facebookseite und ein klares Statement auf allen drei Kanälen, dass diese Seiten nie (!) offiziell den F*-Streik in Deutschland vertreten haben, noch aus. Diese Kanäle wurden genutzt, um einseitig für eine autoritär-kommunistische, pro-palästinensische Position zu werben. So wurde beispielsweise auf Instagram ein Bild vom Women’s March Berlin geteilt, auf dem berliner Frauen*streik-aktivist*innen mit dem Schild „palestine is a feminist issue“ klar Stellung bezogen haben.[4] Außerdem wurde auf Facebook und Twitter zum internationalistischen Block der Luxemburg-Liebknecht Demonstration geworben und ein Artikel, der von einer sehr umstrittenen Aktivistin[5] mitgeschrieben wurde, geteilt. Die Statements aus u.a. Osnabrück, Bielefeld, Hamburg und Dresden, die sich mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzen, haben hingegen keinerlei Erwähnung auf irgendeinem der Kanäle gefunden. Auch die Kritik um das erste Vernetzungstreffen in Göttingen wurde nirgendwo sichtbar gemacht. Die öffentlich zugänglichen Statements befinden sich am Ende dieses offenen Briefes.

Insgesamt entstand so ein Klima der Angst, welches die wenigen Genoss*innen die trotz anderer Meinung angereist waren, massiv einschüchterte und unter Druck setzte. Wir wurden während des Wochenendes mehrfach angesprochen und haben von unterschiedlichen Personen erfahren, dass sie sich nicht getraut haben Dinge zu sagen. Unter anderem traute sich die Moderation an einer Stelle nicht ein Statement vorzulesen, was dazu führte, dass Menschen trotz Angst, ihr Gesicht dafür hinhalten mussten. Diese Zustände von Angst und Einschüchterung von Frauen, non-binarys und trans-Männern sind für uns nicht hinnehmbar!

Wir fordern die autoritären Gruppen und Personen, die für diese Stimmung gesorgt haben, auf offen als das Aufzutreten was sie sind: Autoritäre, antiimperialistische, einseitig pro-palästinensische Kommunistinnen.

Im Anschluss daran fordern wir alle anderen Gruppen und Einzelpersonen auf, sich von diesen Gruppen zu distanzieren, die Zusammenarbeit mit diesen zu beenden und sich mit den antisemitischen Positionen und autoritären Methoden auseinanderzusetzen, um solche Vorfälle in Zukunft direkt zu unterbinden. Insbesondere größere Organisationen und (Orts-)Bündnisse wie die Linkspartei oder die Interventionistische Linke sehen wir hier in der Verantwortung, da sie eigentlich schon längst für solche Vorfälle sensibilisiert sein sollten.

Eine F*-Streik Bewegung unter der (unsichtbaren) Führung autoritärer Gruppen und Einzelpersonen wird uns unseren Zielen und einer tatsächlich besseren Gesellschaft nicht näherbringen. Wir verbleiben in der Hoffnung auf eine feministische Revolution die aus den Fehlern der Geschichte gelernt hat. Gegen jeden Antisemitismus! Gegen autoritäre Strömungen in der Linken und überall! Für Sororität![6] Für einen radikalen Feminismus!

Feministische Frauengruppe Göttingen

Stellungnahme Osnabrück: https://www.facebook.com/FrauenstreikOS/posts/302912643754421

Stellungnahme von Teilen des Hamburger Bündnisses:  https://www.facebook.com/FStreikHamburg/posts/566883767117209

Stellungnahme Bielefeld: https://frauenqueerstreikbielefeld.noblogs.org/post/2019/02/17/stellungnahme-des-buendnis-frauen-und-queer-streik-bielefeld/

Konflikt um Vernetzungstreffen in Göttingen: https://www.facebook.com/gruppemelange/posts/2326425347386638

[1] Die im Text genutzten Zitate sind aus Gedächtnisprotokollen von Aktivist*innen. Auch wenn versucht wurde Fehler zu vermeiden, kann nicht für den genauen Wortlaut garantiert werden.

[2] Hier der Wikipedia-Artikel (https://de.wikipedia.org/wiki/Kufiya#Kufiya_in_nichtarabischen_L%C3%A4ndern), ein Artikel gegen (http://schoenistdasnicht.blogsport.de/2007/12/01/das-pali-tuch-geschichte-und-bedeutung/) und für (https://www.akweb.de/ak_s/ak616/10.htm) das Tragen von Pali-Tüchern. Diese Artikel dienen nur zur Verdeutlichung des Konflikts.

[3] Ein Artikel zum Konflikt um Internationalismus (http://www.assoziation-daemmerung.de/2016/06/hoch-die-antinationale-solidaritaet/), dieser dient ebenfalls nur zur Verdeutlichung des Konflikt.

[4] Artikel zum womens march: https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/gegen-trump-aber-ohne-juedinnen/

[5] Zu der Aktivistin hier mehr: https://www.fv-gewi.at/gezeit/archiv/2017/vereint-gegen-israel-diskursiv-in-den-antisemitismus/

[6] Sororität = schwesterliche Liebe, Schwesternschaft. Ein Begriff der auch international und vor allem in Argentinien genutzt wird um für einen solidarischen Umgang in der feministischen Bewegung zu plädieren.